Dienstag, 9. Dezember 2014

Bipolar: Zwischen den Phasen

In einem klassischen Lehrbuch oder Artikel wird die bipolare Erkrankung immer
als Wechselspiel der beiden Anteile Manie und Depression vorgestellt.
Die Zeiten zwischen diesen Phasen werden dabei immer mit einer geraden Linie ( keine Depression, keine Manie) über die Zeitachse  dargestellt, in dieser Zeit ist der Erkrankte angeblich ohne typische Symptome dieser so widersprüchlichen Krankheit.
Der Abstand zwischen den einzelnen Phasen fließt in die Diagnostik ein, je häufiger die Phasen wechseln spricht man dann von Rapid Cycling oder Ultra Rapid Cycling.
Wesentlicher Bestandteil des Krankheitsbildes sind also wechselnde Phasen von manischen und depressiven Schüben, die in unterschiedlichen Zeitabständen erfolgen können.

Die Zeitspanne zwischen den Phasen ist aber oft nicht frei von anderen Symptomen und auch die so deutliche Abtrennung von unauffälligen Phasen und manischen oder depressiven Phasen stimmt nicht immer.

Ausnahme 1:
Es ist gar keine sogenannte "normale Phase" vorhanden sondern
es tritt:

nur manisches Verhalten über einen langen Zeitraum
oder nur eine Depression über einen langen Zeitraum auf

Dies kann in beiden Fällen mit und ohne Auftreten der jeweils anderen Verhaltensweisen geschehen,
also z.B. immer leicht manisch und ab und zu eine Depression usw.

Vor allem eine sehr leichte Hypomanie (ohne "gesellschaftliche" Ausrutscher) wird so oft nicht erkannt, gleiches gilt für eine lang anhaltende Depression ohne jegliche manische Phasen die dann als klassischen Depression diagnotiziert wird. (...und dann bei der Einnahme eine Antide
pressivums möglicherweise erst eine Medikamenten induzierte Manie auslöst).

Es gibt also ein, durch die Vielzahl von Krankheits verursachenden Genen und deren Kombinationsmöglichkeiten viel bunteres Erscheinungsbild der bipolaren Erkrankung.


Ausnahme 2.

Es treten immer wieder kurze und sowohl für das Umfeld als auch den Betroffenen nur schwer wahrnehmbare kurze manische oder depressive Impulse auf.
Die emotionale Grundlinie wird zwar gehalten, aber ein kurzer manischer Impuls führt dazu z.B. mit hohem Aufwand noch einmal alle Mitglieder der "Band" in einer nächtelangen Telefonaktion zusammen zu bringen. Der Impuls verschwindet relativ schnell wieder und am nächsten Tag ist es unwichtig ob diese Aktion erfolgreich war oder nicht und das alltägliche Leben geht weiter.
Dauern diese manischen Impulse einen Moment länger an, versucht der Betroffene möglicherweise an alte "Hochzeiten" wieder anzu knöpfen, also doch noch mal Selbstständig werden usw. und scheitert dann sehr schnell an den überhaupt nicht vorhanden Ressourcen oder einer durch die manischen Impulse bedingten falschen Wahrnehmung der Situation.
Weiterhin kann auch eine Depression auch mal deutlich schwächer ausgeprägt auftreten, wird nicht als solche erkannt und verschwindet nach kurzer Zeit.
Alles ist aber oft so gering ausgeprägt, dass es diagnostisch unauffällig ist, aber meiner Meinung nach deutlich zum Krankheitsbild gehört.


Ausnahme 3.

Es treten gemischte Phasen auf, in denen sowohl manische als auch depressive Elemente vorhanden sind. In diesen Zeiten hilft oft das eigene Wahrnehmungsraster nicht mehr, weil die selbst wahr- genommen emotionalen Veränderungen an sich, nicht in das klassische Verhaltensmuster von entweder manisch oder depressiv passen. Ein erhöhter Antrieb in Verbindung mit depressiven Anteilen wie z.B. schneller Erschöpfung ist schwer zu zuordnen und wird auch von Ärzten oft nicht richtig diagnostiziert, wenn es nur zu einer leichten Ausprägung kommt. Für den Betroffenen ist so
eine länger anhaltende gemischte Phase oft schwer auszuhalten, bedarf eigentlich einer anderen Medikamentengabe und das Selbstmordrisiko kann erhöht sein.
Ein typischer Satz eines Betroffenen ist:---diesmal ist es bei mir irgendwie anders..---


Ausnahme 4.

Bedingt durch einen länger anhaltenden Krankheitsverlauf, immer wieder Wechseln von manischen und depressiven Phasen kann es zu Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirnes kommen.
Typisch sind hier:
-Konzentrationsstörungen
-Gedächtnisverluste
-Geringe körperliche Belastbarkeit
-schnelle Erschöpfung bei auch nur geringer emotionaler Belastung

Auch wenn dies der Betroffene bemerkt und seinem Arzt mitteilt, wird hier nur selten ein eindeutiger Zusammenhang dieser Beschwerden mit der Grunderkrankung mit dem betroffenen Patienten deutlich kommuniziert.
--und es ist deutlich zu unterscheiden zwischen einer ungenau formulierten Sehnsucht nach magischer Manie und den tatsächlich vorhandenen objektiven Einbußen----


Ausnahme 5.

Die oft für den Rest des Lebens notwendige sogenannte Phasenprofilaxe führt bei manchen Betroffenen zu einer anderen emotionalen Wahrnehmung von sich selbst und den Reaktionen auf ihre Umwelt. Auch hier ist das Spektrum groß, manche fühlen sich trotz Dauereinnahme von Medikamenten zwischen "den Phasen" völlig ohne Symptome und auch nicht eingeschränkt, aber natürlich können Medikamente im Bereich Phasenprofilaxe zu einer auch vom Betroffenen wahr genommenen emotionalen Verflachung, teilweiser Selbstentfremdung oder auch kognitiven Störungen führen.


Ausnahme 6.

Für viele Bipolare ist so etwas wie eine oft unbewußte Lebenssehnsucht nach manischen glücklichen Momenten, dieser unglaublichen vermeintlich zufriedenen Einheit von Körper, Geist und Seele vorhanden. Hier kann es auch in den "beschwerde freien" Phasen zu Verhaltensweisen kommen, die zum Versuch werden, das emotionale Empfindungsmuster einer Manie zumindest in Teilen ein wenig nahe zu kommen:
Dazu gehören auch der Konsum von:
Nikotin, Koffein
Alkohol
andere Drogen

aber auch bestimmte Verhaltensmuster, Tagtraumstrukturen, Einschlaftraummuster, aber auch wieder vermehrt Joggen usw..

Selbst die intensive Auseinandersetzung mit einer Idee kann schnell zu einer sehr kurzen fixen Idee werden, da unser Belohnungssystem alte manische Muster aufnimmt und dann bei intensiver Beschäftigung erhöht Glückshormone ausgestoßen werden. Dies geschieht aber nur für kurze Momente der intensiven Beschäftigung mit diesem einen Gedankenfluß, danach kommt dann wieder der Alltag. Es hat also nur eine kurze Unterbrechung im emotionalen Haushalt gegeben, die emotionale Grundlinie ist weiterhin vorhanden.
Selbst ein Aufgreifen dieser Idee nach mehreren Monaten lößt sofort wieder emotionale Belohnungsmuster aus, die anscheinend nicht mehr trennbar mit genau dieser Idee verbunden sind, wobei es durchaus mehrere sehr unterschiedliche Ideevorstellungen sein können.







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